… denn die Häuser gehören uns (VIII): Hausbesetzer-Familien in Sanlúcar de Barrameda

Angesichts der blanken Not kommen überall in Spanien immer mehr Menschen auf die nahe liegende Idee, leerstehende Wohnungen zu besetzen, statt weiterhin auf der Straße, in Garagen, auf dem Sofa von Verwandten oder im Auto vor sich hin zu vegetieren. In Sanlúcar de Barrameda – eine Stadt mit 67.000 Einwohnern ganz im Süden des sonnigen Andalusiens – hat sich in letzter Zeit eine rege Hausbesetzer-Szene entwickelt. 86 Familien haben 8 leerstehende Gebäude zu ihrem neuen Zuhause erkoren und füllen diese nun mit neuem Leben.

Angefangen hatte es vor 3 Monaten, als 11 Familien in dem Stadtteil Bonanza ein Gebäude okkupierten. In den letzten Wochen ist die Zahl der Besetzungen kontinuierlich und schnell angestiegen auf die aktuelle Zahl von 8 Corralas, wie die besetzten Wohnblöcke in Andalusien genannt werden. Angesichts von 12000 Arbeitslosen könnte die Zahl in Zukunft noch zunehmen. Die Corrala-Bewohner bekommen immer wieder Anfragen, ob noch Wohnungen frei sind in den Gebäuden oder ob sie weitere Gebäude kennen, in die man einziehen könnte.



Die Hausbesetzer-Bewegung entwickelte sich aus der Not und griff zum Mittel der direkten Aktion. Viele der Menschen, die in den Corralas ein Dach über dem Kopf gefunden haben, sind Familien aus Sanlúcar ohne finanzielle Mittel. Es sind viele junge Paare dabei, die meisten mit Kindern. Schwangere Frauen leben dort, Alleinerziehende und Familien, die bereits zwangsgeräumt wurden. Die Mehrheit der Bewohner der Corralas ist arbeitslos und bekommt auch keine Arbeitslosenunterstützung. Die zuständigen Behörden haben ihnen nicht geholfen, weder bei der Stadtverwaltung, noch bei der Regionalregierung von Andalusien.

Die ersten Besetzungen liefen spontan und und unkoordiniert ab. Seit dem 7. Juli aber organisieren sich 6 von den 8 Corralas in einem Bündnis namens Corralas por la dignidad (Corralas für die Würde): El Castillo, Higuereta, Bonanza, Jaramillo, Almendral und Pirrado. Die gemeinsame Planung und Entscheidung läuft über täglich stattfindende asambleas ab, basisdemokratische Versammlungen. In einer Mitteilung, die das Bündnis anlässlich seiner Gründung herausgab, forderten sie „die soziale Funktion des Eigentums,“ da sie „einen akuten Wohnungsnotstand erleben, umgeben von Millionen leerstehenden Wohnungen, die Eigentum der Bank sind.“

Die Häuser standen alle jahrelang leer und waren in einem entsprechend schlechten Zustand. Vieles war verfallen oder fehlte, wie zum Beispiel Kupferkabel und Türen, da geplündert worden war. Die Bewohner bauen auf das Prinzip der gegenseitigen Hilfe und gehen gemeinsam die Instandsetzung und Reinigung an. Sie teilen sich ihr Essen und haben einen gemeinsamen Fonds angelegt, um von dem Geld Material zu kaufen, das für die Sanierung nötig ist. In einigen der Corralas gibt es nur einen funktionstüchtigen Wasserhahn, den sich die ganze Gemeinschaft teilt. Elektrizität gibt es in den meisten Fällen nicht, zur Beleuchtung werden Kerzen verwendet.

Die Bewohner befinden sich in einer Art legalem Niemandsland. Es ist unklar, wer Eigentümer der Gebäude ist. Sie konnten damals, nach dem Platzen der Immobilien-Blase, nicht mehr verkauft werden und blieben leer und verfielen. Die Spur nach Eigentümern verliert sich irgendwo zwischen bankrotten Bauunternehmen, überschuldeten Immobilien-Maklern und pleite gegangenen Banken, an welche die unverkäuflichen Objekte übergegangen waren. Die ungeklärte Eigentumsfrage ist wohl auch der Grund, weswegen bis jetzt keine Anzeigen eingegangen sind.
Die Bewohner wären durchaus bereit eine soziale – also nach individuellen Einkommensverhältnissen gestaffelte – Miete zu bezahlen, verlangen dafür aber im Gegenzug, dass sie Zugang zu Strom und Wasser bekommen.

Foto von CNT-ait oficial

Spenden werden geliefert
Foto von CNT-ait oficial

Solidarität erfährt das Bündnis Corralas por la dignidad unter anderem von der lokalen Föderation der CNT aus Jerez, von denen einige Mitglieder in Sanlúcar leben. Diese traditionsreiche spanische anarchosyndikalistische Gewerkschaft brachte den notleidenden Familien haltbare Lebensmittel (450 kg Zucchini, 150 kg Kartoffeln), Hygieneartikel, Betten, Kleidung und andere Dinge des täglichen Bedarfs, um sie in ihrem Kampf zu unterstützen.
Die CNT hat volles Verständnis für die Lage der Familien: „Weder der Staat noch das Kapital kümmern sich um Leute ohne Wohnung“, schreiben sie auf ihrer Webseite. „Menschliche Bedürfnisse sollten vor dem Privateigentum stehen“, fordern sie ebendort.

Über den Twitter-Account berichtete das Bündnis, dass die CNT 40 Kisten Lebensmittel brachte:

Die CNT nimmt an ihrem Sitz in Rota auch Lebensmittelspenden entgegen und gibt sie weiter an die Familien.

Auch wenn direkte Aktion, gegenseitige Hilfe und unhierarchische gemeinsame Selbstorganisation uranarchistisch klingen mögen – es ist nicht bekannt, ob es sich bei den Hausbesetzern aus Sanlúcar tatsächlich um Menschen handelt, die ein anarchistisches Selbstverständnis haben. Viel wahrscheinlicher scheint, dass sie diese Prinzipien einfach deshalb anwenden, weil sie der Schlüssel sind, um gemeinsam ihre Probleme in den Griff zu bekommen. Wie sagte Horst Stowasser so trefflich?

„Mit Sicherheit sind mehr Menschen ‚Anarchisten‘ als nur diejenigen, die sich so nennen.“
(Horst Stowasser)

Quellen:

  • „La CNT apoya al movimiento de las corralas en Sanlúcar de Barrameda“ – CNT.es
  • „La urgencia acorrala a Sanlúcar de Barrameda“ – Diagonal Periódico
  • „86 familias okupas de Sanlúcar crean ‚Corralas por la Dignidad'“ – Diario de Jerez
  • „Aportación de alimentos y productos básicos a las corralas de Sanlúcar“ – Sanlúcar de Barrameda.TV
  • „50 familias ocupan tres edificios vacíos en Sanlúcar de Barrameda“ – El Mundo
  • „La CNT de Rota muestra su apoyo a las corralas de Sanlúcar de Barrameda“ – Andalucía información

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